Über „Alle Jahre wieder“ (den Film) und Ulrich Schamoni (den Regisseur)
„Ohne ihn und sein Oeuvre wäre das deutsche Kino um weit mehr als eine Farbnuance ärmer.“
Volker Jakob über Ulrich Schamoni
Ulrich Schamoni und sein „Münster-Film
Die Filmkarriere wird Ulrich Schamoni, geboren am 9. November 1939 in Berlin, als jüngstem Sohn des promovierten Filmwissenschaftlers Victor Schamoni und seiner film- und theaterbegeisterten Ehefrau Maria quasi in die Wiege gelegt. Auch seine drei älteren Brüder sind später erfolgreich in der Filmbranche tätig.
Seine Jugendzeit verbringt Schamoni in Münster, bis ihm die Schulleitung des Ratsgymnasiums vor dem Abitur den Abgang „nahelegt“. Über München zieht er 1960 zurück nach Berlin, wo er seinen Roman „Dein Sohn lässt grüßen“ schreibt. Hinter der frommen Stadt „Kloster“ voller Intrigen, antisemitischer und fremdenfeindlicher Übergriffe und sexueller Attacken ist Münster leicht erkennbar. Das Buch wird auf Anweisung des Innenministeriums indiziert (u.a. da es die „religiösen Gefühle der Leser“ verletze).
Die Bekanntheit durch die Querelen um den Roman nutzt Schamoni für seinen ersten Kurzfilm, der gleich einen Bundesfilmpreis erhält. Nach dem großen künstlerischen und kommerziellen Erfolg seines Spielfilmdebüts „Es“ konzipiert er mit seinem Bruder Peter und dem Autor Michael Lentz seinen zweiten Spielfilm, der die drei nach Münster zurückbringt. „Alle Jahre wieder“ erzählt die Geschichte des Werbetexters Hannes Lücke, der zu Weihnachten Frau, Kinder und Kumpels in der katholischen Provinz besucht, diesmal aber seine junge Freundin Inge mitbringt. Ob das gut geht?
Vor allem aber ist der Film ein Porträt von Schamonis langjähriger Heimatstadt am Vorabend der sich anbahnenden „Achtundsechziger Bewegung“. Der Regisseur lichtet die Plätze und Gebäude der Stadt ab, ihre Kneipen und Kirchen. Nichts wird mitgebracht, alles Vorhandene wird zur Requisite. In erster Linie aber interessiert sich Schamoni für die Menschen: Hauptdarsteller Hans Dieter Schwarze stammt ebenso von hier wie Musiklehrer, Kneipiers und Museumsführer, die sich quasi selbst spielen. „Alle Jahre wieder“ gewinnt den Silbernen Bären der Berlinale und drei Bundesfilmpreise, in Münster wird er ein wichtiges Stück Kulturgeschichte.
Die Erfolgsgeschichte von „Alle Jahre wieder“ in Münster
Nach den ersten beiden erfolgreichen TV-Erstausstrahlungen im Januar 1974 und knapp 10 Jahre später, bei denen insgesamt rund 25 Millionen zuschauten, lief „Alle Jahre wieder“ nur noch sechsmal im deutschen Fernsehen; die letzte Ausstrahlung war an einem Juli-Morgen um 8:30 Uhr vor 25 Jahren. Das ist indes kein besonderes Schicksal für einen „Neuen Deutschen Film“: Selbst ein Riesenerfolg wie „Zur Sache, Schätzchen“, den Ulrichs Bruder Peter mit dem Preisgeld von „Alle Jahre wieder“ produzierte und der 6,5 Millionen Kinobesucher in Deutschland hatte, findet in der heutigen Fernsehlandschaft kaum statt. Wenn überhaupt ältere Filme laufen, dann solche, die zu „Papas Kino“ zählen, „Sissi“, „Winnetou“ oder die Edgar-Wallace-Krimis, als deren Wachablösung „Alle Jahre wieder“ und die anderen „Neuen Deutschen Film“ einst gedacht waren.
Während der Rest der Nation in den letzten Jahren also nur wenig Notiz von Schamonis „Alle Jahre wieder“ genommen hat, und auch in Münster war es eine Zeitlang nicht viel anders. Inzwischen aber gehört der Film in Münster seit nunmehr über zwanzig Jahren zur Vorweihnachtszeit wie für viele der Sketch „Dinner for One“ zu Silvester. Dazu hat sicher das Engagement des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) beigetragen: der hat den Film 1997, nach nicht ganz einfachen Verhandlungen mit Produzent Peter Schamoni, zunächst als VHS-Kassette aufgelegt, 2007 dann als DVD-Edition, übrigens in Verbindung mit einem höchst informativen und lesenswerten Booklet. Beide entwickelten sich zu Dauersellern am einstigen Ort des filmischen Geschehens und sind es bis heute.
Die Wiederentdeckung des Film durch die Münsteraner liegt allerdings noch ein wenig weiter zurück. Sie begann dort, wo der Film auch heutzutage alljährlich seine Leinwand-Heimat hat: im Schloßtheater-Kino. Im Oktober 1990 fanden nach wechselvollen früheren Ausgaben die „Filmzwerge“, das Kurzfilmfestival der Filmwerkstatt Münster, erstmals im ehrwürdigen Kino am Kanonierplatz statt. Unter dem Motto „Auch kleine Filme haben ein großes Kino verdient“ programmierten der Festivalleiter Herbert Schwering und sein Team 89 Kurzfilme sowie eine Retrospektive der Brüder Schamoni, mit frühen Werken von Peter, Thomas und Ulrich, mit Langfilmen wie Ulrichs „Es“ (1965) und Peters „Frühlingssinfonie“ (1983) – und eben auch „Alle Jahre wieder“, eine der wenigen Kinoproduktionen gilt, die in Münster spielt.
Die drei Brüder Schamoni waren, ebenso wie der „Alle Jahre wieder“-Drehbuchautor Michael Lentz, auch persönlich zu Gast im Schloßtheater, im Juni 1993, als im Rahmen der 1200-Jahr-Feier der Stadt Münster im Schloßtheater das „Filmspectaculum“ stattfand, bei dem an vier Tagen Kinofilme gezeigt wurden, die in der Stadt spielen oder hier gedreht wurden. Anlässlich des Jubiläums wurde in jenem Jahr außerdem zum Abschluss eines Workshops der Filmwerkstatt ein Kurzfilm konzipiert, bei dem David Kluge die Regie übernahm. Titel: „Der Reiniger“. Er zeigt Pitt Hartmann als radelnden Uniformierten, der atemlos durch prominente Orte der Stadt hetzt, um in letzter Minute das Kiepenkerl-Denkmal vor einem Taubenschiss zu retten. Inspiriert von „Alle Jahre wieder“ ist der schwarz-weiße 3-Minüter seit langen Jahren dessen regelmäßiger Vorfilm im Schloßtheater.
Auf Herbert Schwerings Initiative geht auch die Programmierung des Films im Adventsprogramm des filmclub münster zurück. Am 17.12.1997 war es erstmals soweit. 91 Besucher kamen zu jener Vorführung ins Schloßtheater, vier Tage später waren es gar 182 Zuschauer. Nicht schlecht für einen seinerzeit schon 30 Jahre alten und weithin vergessenen Film. Im Folgejahr wurde er wieder zur Weihnachtszeit gezeigt — und im nächsten Jahr und im nächsten … und dann eben alle Jahre wieder.
Alleine im Dezember 2019 haben ihn 539 Menschen im Schloßtheater angeschaut, damit sind es seit 1997 insgesamt fast 10.000 Zuschauer. Mittlerweile wird der Film in einer digitalen HD-Fassung projiziert, aber in den ersten Jahren musste Peter Schamoni regelmäßig eine schwergewichtige 35mm-Filmkopie aus dem Keller holen und von München nach Münster hin- und zurücktransportieren. 2011, anlässlich eines Jubiläumshefts („Jump Cut“) zum 30. Geburtstag der Filmwerkstatt Münster, erinnerte er sich an die Mühen und konstatierte: „Bis mir das zu lästig wurde und ich meine letzte gut erhaltene Archivkopie der Filmwerkstatt zur freien Verfügung gestellt habe …“
Die Schamonis blieben über die Jahre weiterhin mit Münster verbunden. 2004 feierte Peter seinen 75sten mit einer Gala im Schloßtheater sowie alten Weggefährten im Gasthaus Leve. Eine schöne Geschichte von ihm und der Stadt ist im besagten Jubiläumsheft der Filmwerkstatt überliefert:
„Bei meinem letzten Besuch in Münster kam ich am Rathaus an einer größeren Touristengruppe vorbei. Ein offizieller Stadtführer – wahrscheinlich ein pensionierter Studienrat – dozierte über die Geschichte Münsters. Ich hörte ihm eine Weile zu, bis er verkündete: „So, jetzt gehen wir über den Prinzipalmarkt durch die Arkaden zum Hotel Busche . Dort haben die Schamonis den berühmten Münster-Film „Alle Jahre wieder“ gedreht, über den ich Ihnen noch etwas erzählen will. Das Café Schucan, in dem ein Großteil des Films spielt, gibt es leider nicht mehr.“ Ich bin dann mit der Gruppe mitgetrottet und habe dem verdutzten netten älteren Herrn, der sogar einige Kernsprüche aus unserem Film zum Besten gab, wie „Gott gab uns die Nüsse, aber knacken müssen wir sie selber“ oder „Halbbesoffen ist weggeschmissenes Geld“, schließlich dankend die Hand geschüttelt.“